Nahrungsergänzungsmittel unter der Lupe

Unser Konsumentenschutz hat 15 Nahrungsergänzungsmittel (NEM) zur Stärkung des Immunsystems analysiert. Mit solchen Präparaten werden hierzulande jährlich rund 140 Millionen Euro umgesetzt, Tendenz steigend. Fazit: Kombiniert mit der an sich guten Versorgungslage an nährstoffreichen Lebensmitteln in Österreich, den weit verbreiteten angereicherten Lebensmitteln sowie der weiterhin fehlenden EU-Umsetzung einer Höchstwerte-Verordnung für NEM, ist einer Überdosierung an Nährstoffen Tür und Tor geöffnet. AK-Konsumentenschützer Stefan Göweil: „Hier werden die Konsument:innen in einem Dschungel von Nähr- und Inhaltsstoffen sowie gesetzlich nicht endgültig definierten Höchstmengen von der EU alleine gelassen, die neue Kommission muss die lang geplante Verordnung zum Schutz der Gesundheit der Menschen schleunigst auf den Weg bringen.“

Ist eine Verkühlung im Anmarsch, greifen die Österreicher:innen immer öfter zu Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), um dem Immunsystem einen Schub zu verleihen. Der Markt für Vitamine und Mineralstoffe in Form von freiverkäuflichen NEM in Österreich verzeichnete im Jahr 2024 laut Statista bislang einen Umsatz von rund 140,70 Millionen Euro. Laut Prognosen wird das Marktvolumen im Jahr 2029 voraussichtlich 177,60 Millionen Euro erreichen, was einem jährlichen Umsatzwachstum von 4,77 Prozent entspricht.

 NEM ergänzen die normale Ernährung und ersetzen keine abwechslungsreiche Ernährung. Sie zeichnen sich selbst in kleinen Mengen durch eine hohe Nährstoffdichte aus. NEM enthalten Vitamine und Mineralstoffe, einschließlich Spurenelementen. Zusätzlich beinhalten sie etwa Verdickungsmittel, Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Süßstoffe oder Zucker. Die Inhaltsstoffe können sowohl natürlich als auch synthetisch hergestellt sein, wobei die synthetische Herstellung kostengünstiger und kontrollierbarer ist.

Warum eigentlich NEM?

AK-Konsumentenschützer Stefan Göweil: „NEM lindern weder Beschwerden noch heilen sie Krankheiten. Auch wenn Werbungen den Eindruck vermitteln, dass für jedes gesundheitliche Problem ein geeignetes NEM verfügbar ist. Ein steigendes Gesundheitsbewusstsein der Konsumierenden, spezifische Bedürfnisse wie etwa Energiesteigerung, Stressbewältigung etc., sowie Schönheitsideale und technologische Innovationen treiben die Marktentwicklung voran. Zudem gibt es die Tendenz, selbst natürliche Lebensmittel als minderwertig darzustellen und NEM als notwendigen Zusatz zum Ausgleich eines angeblichen Nährstoffdefizits anzupreisen.

15 Produkte auf dem Prüfstand

Im Rahmen der Erhebung wurde der Fokus auf NEM gelegt, die speziell auf die Stärkung des Immunsystems ausgerichtet sind. Gerade in der kalten Jahreszeit werden derartige Produkte stark beworben und finden entsprechenden Absatz. Göweil: „Wir haben uns den stationären Handel angesehen und 15 Produkte untersuchen lassen, die gezielt zur Stärkung des Immunsystems mit Verpackungs-Angaben wie etwa „Ihr täglicher Beitrag für gesunde Abwehrkräfte“ oder „Basisversorgung an Vitaminen“ beworben werden.

 NEM sind als Lebensmittel einzustufen und unterliegen den Lebensmittelvorschriften. Verwendete Stoffe, Kennzeichnung und gesundheitsbezogene Aussagen werden einheitlich von der EU geregelt. NEM können jedoch ohne vorherige Überprüfung und Zulassung einfach auf den Markt gebracht werden - in Österreich sogar ohne Meldung, Registrierung oder Anmeldung des jeweiligen Produkts. Grund genug, diese genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die Ergebnisse – wer soll da den durchblick behalten?

Wesentlich für unsere Konsumentenschützer:innen waren die Prüfung der enthaltenen Menge an ausgewählten Inhaltsstoffen und die Einhaltung der vorgeschriebenen Kennzeichnungsbestimmungen. Folgende Inhaltsstoffe wurden analysiert:
Vitamin D3, Vitamin B12, Vitamin C und Vitamin A sowie Zink, Selen und Eisen. Der so ermittelte Gehalt des jeweiligen Stoffes wurde dann mit angegebenen Menge verglichen. Die Ergebnisse zeigen einen wahren Dschungel an für Konsument:innen nicht nachvollziehbaren Inhalts- und Kennzeichnungsbestimmungen.

Negativ aufgefallen sind:

  • Bei 5 der 15 untersuchten Proben stimmt die Mengenauslobung in der jeweiligen Nährstofftabelle auf der Verpackung mit den tatsächlich enthaltenen Mengen nicht überein.
  • Bei 9 der 15 Proben wurden die Kennzeichnungsvorschriften nicht einwandfrei eingehalten. Konkret wurde bei 6 Proben nicht die gesetzlich vorgegebene Maßeinheit in der Nährwerttabelle auf der Verpackung verwendet.

Positiv ist zu bemerken:

  • Keine der 15 Proben weist eine Bemängelung in Bezug auf Aussehen, Geruch und Geschmack auf.
  • Bei keinem der untersuchten Produkte wurde eine unzulässige gesundheitsbezogene Angabe festgestellt.

Die untersuchten Produkte bestehen laut ihrem Zutatenverzeichnis im Schnitt aus rund 31 Inhaltsstoffen. Dabei reicht die Bandbreite von 2 Produkten, welche zu 100% aus Wirkstoffen bestehen, bis zu einem Produkt, welches lediglich 5 Wirkstoffe, dafür aber 17 Hilfs- und Zusatzstoffe beinhaltet. Die hohe Anzahl an Inhaltsstoffen deutet darauf hin, wie hoch verarbeitet NEM für gewöhnlich sind, die eine erhebliche Entfernung von natürlichen Rohstoffen hin zu synthetischen oder hochverarbeiteten Endprodukten beinhalten.

NEM_Übersicht
Allgemeine Übersicht © AK Salzburg

Legende:
i.O.: in Ordnung
l.M: leichter Mangel, Mengenangabe entspricht nicht exakt den Vorgaben
Mangel: mehrere Bemängelungen durch das Prüfinstitut

Gefahr der Überversorgung – besondere Achtung bei Kindern

Gerade aufgrund der überwiegend guten Versorgungslage der österreichischen Bevölkerung müssen NEM – anders als die Werbung oft suggeriert – eine ungenügende Nährstoffaufnahme über die Ernährung NICHT kompensieren.

AK-Experte Göweil: „Bei der unkontrollierten Einnahme von NEM ist zu beachten, dass über die normale tägliche Ernährung ebenfalls eine Aufnahme von Nährstoffen erfolgt. Gerade bei fettlöslichen Vitaminen, wie Vitamin A, D, E und K, die der Körper gut speichert, kann es leichter zu Überdosierungen kommen, welche wiederum unerwartete negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben können.“

NEM sollten daher nur nach Bedarf und am besten nach Rücksprache mit Ärzt:innen oder Ernährungsberater:innen konsumiert werden. Insbesondere bei der Verwendung von NEM bei Kindern, da sich die Dosierungs- und Verzehrempfehlungen auf den Produkten in der Regel auf Erwachsene beziehen. Für Göweil ist eine Verabreichung von NEM an Kinder generell zu hinterfragen: „Hier sind die Eltern gefordert, Alternativen in punkto abwechslungsreicher und gesunder Ernährung mit natürlichen Lebensmitteln den Vorzug zu geben.“

NEM_Dosierungsgrad
Dosierungsgrad der erhobenen Produkte © AK Salzburg

„Bio“ versus „Industrie"

Konsument:innen sollten sich bewusst sein, dass der Großteil der NEM ein Endprodukt intensiver Verarbeitung und synthetischer Herstellung ist. Das macht viele NEM zu Produkten, die viel mehr industriellen Erzeugnissen als natürlichen Lebensmitteln gleichen. „Wer natürliche Nährstoffquellen bevorzugt, sollte sich die Inhaltsstoffe eines NEM näher ansehen und auf biozertifizierte und gentechnikfreie Produkte zurückgreifen“, empfiehlt AK-Konsumentenschützer Stefan Göweil.

Forderung an EU zu rechtlicher Regulation

Seit dem Jahr 2002 ist die EU säumig, den Bereich der NEM unionsrechtlich zu regeln. Die seither erlassenen Rechtsakte führten zu einer unübersichtlichen Rechtszersplitterung. „Es braucht daher eine einheitliche Regulierung im Wege eines Gesamtrechtswerkes“, fordert Göweil, „Zudem soll auch geprüft werden, ob NEM weiterhin als klassisches Lebensmittel behandelt werden.“ Vorstellbar wäre für unsere Expert:innen eine Beurteilung nach den „EU-Novel Food Kriterien“ zur einheitlichen Sicherheitsbewertung von neuartigen Lebensmitteln, um vor Markteintritt eine Kontrolle und Zulassung des NEM zu haben.
Die bereits 2002 von der EU vorgesehene gesetzliche Festlegung von Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in NEM ist längst überfällig und sollte dringend in Angriff genommen werden. Nachdem die Einnahme von NEM in hohen Mengen schädlich sein kann, braucht es zum Schutz der Konsumierenden EU-weit einheitliche und verbindliche Höchstmengen der in NEM enthaltenen Nährstoffe. 

Zudem braucht es eine Informationspflicht. Es könnten Empfehlungen von renommierten Institutionen - etwa dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) - als verpflichtende Warnhinweise unionsrechtlich vorgesehen werden. Die Informationspflicht sollte Aspekte wie Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, Nebenwirkungen sowie Dosierungshinweise für Kinder und Jugendliche abdecken.

Links

Kontakt

  • © 2025 AK Salzburg | Markus-Sittikus-Straße 10, 5020 Salzburg, +43 (0)662 86 87

  • Datenschutz
  • Impressum