So kann Salzburg die steigende "Armut trotz Arbeit" bekämpfen!
Arbeit schützt nicht vor Armut! Die Salzburger Arbeiterkammer hat deshalb bereits vor einigen Jahren Fachleute aus den eigenen Reihen und von zahlreichen Institutionen unter Leitung von Sozialforschern beauftragt, ein Salzburger Maßnahmenpaket gegen Armut trotz Arbeit zu entwickeln. Daraus ging deutlich hervor, dass sich Armutsgefährdung nicht allein durch Vermittlung von Arbeit senken lässt. Dies gilt heute genauso wie damals.
Grundlage des Maßnahmenkatalogs war die Studie „In der Mitte der Gesellschaft“, welche die Salzburger Arbeiterkammer 2010 veröffentlicht hat. Damals wurden alarmierende Fakten publik gemacht: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Salzburg – das sind mehr als 100.000 Frauen und Männer - verdiente weniger als 1.500 Euro brutto im Monat. Jeder Fünfte von ihnen fand gar weniger als 1.000 Euro auf dem Lohnzettel. Zum Vergleich: die Schwelle zur Armutsgefährdung liegt aktuell bei 1.572 Euro (aktuellster Stand: 2023)!
Soziale Schieflage unverändert
An dieser sozialen Schieflage hat sich wenig geändert. Aktuellste Studien der AK Salzburg zeichnen ein ähnliches Bild. Aus dem Wohlstandsbericht 2023 lassen sich für eine kurzfristige Betrachtung folgende Zahlen ablesen: Die realen Nettoeinkommen der unselbstständig Beschäftigten sind im Bundesland Salzburg 2022 (letztverfügbarer Wert) um 3,5 Prozent gesunken (Österreich: - 3,6 Prozent). Auch mittelfristig gab es einen Kaufkraftverlust: Seit 2019 sanken die Reallöhne in Salzburg um 0,5 Prozent, in Österreich um 1,4 Prozent.
Alarmierende Zahlen ergeben sich auch aus Erhebungen zur Armutsgefährdung. Um eine messbare Größe im internationalen Vergleich zu nennen, wird hier auf die Armutsgefährdungsschwelle nach EU-Vorgabe Bezug genommen. Es handelt sich dabei um einen Betrag der im Wesentlichen den Mittelwert der Einkommen abbildet. Oder anders gesagt: Je die Hälfte verdient mehr beziehungsweise weniger. Jene Personen welche nun weniger als 60 Prozent dieses Einkommen zur Verfügung haben, gelten als armutsgefährdet.
In Salzburg sind dies aktuell 60.000 Personen. Noch prekärer wird die Lage, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Personen einer Erwerbsarbeit nachgehen und dennoch armutsgefährdet sind ( „Working Poor“). Der Anteil der „Working Poor“ beträgt österreichweit im Jahr 2023 8 Prozent!
Auskommen mit dem Einkommen nicht selbstverständlich
Aus dem Arbeitsklimaindex der AK Salzburg 2024 ging neben dem zu hohen Arbeitsdruck auch hervor, dass ein Großteil der Salzburger:innen unter Geldsorgen leidet. Für die Hälfte der Beschäftigten in Salzburg reicht das Einkommen gerade oder nicht mehr aus, um den eigenen Bedürfnissen zu entsprechen.
Ansätze zur Gerechtigkeit - Damals wie Heute
Klar ist: Die Folgen niedriger Löhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind verehrend. Noch alarmierender dabei ist, dass sich auch im Vergleich zu früher wenig geändert hat. Im April 2012 wurde der AK-Arbeitsklima Index veröffentlicht: 50 Prozent der Beschäftigten gaben an, mit ihrem Einkommen gerade noch auszukommen. 10 Prozent kommen damit nicht mehr aus!
Mitunter deshalb wurde damals die Studie in Auftrag gegeben. Die Arbeiterkammer Salzburg hat „Solution – Sozialforschung und Entwicklung“ gebeten, einen Maßnahmenkatalog zu entwickeln, auf dessen Basis eine fundierte interessenspolitische Arbeit ermöglicht wird. Dadurch wurden Ansatzpunkte zur Verbesserung der sozialen Lage von Niedrigverdienenden im Bundesland Salzburg geliefert
25 Expertinnen und Experten und Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Interessensvertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik haben daran mitgearbeitet. Auf 70 Seiten wurde die Lage durchleuchtet und ein Maßnahmenpaket erstellt. Dieses Paket soll als Instrument zur Bekämpfung der sozialen Schieflage dienen
Die Studie leistet damals wie heute einen Beitrag zur Offenlegung der immer wiederkehrenden Problemstellungen sowie Forderungen.
18 Vorschläge für mehr Gerechtigkeit
Erklärtes Ziel aber war es, praxisorientierte und damit umsetzungsfähige Vorschläge abzuleiten. 18 Ideen aus dem Katalog stellen wir hier vor:
- Auftragsvergabe und Wirtschaftsförderung nur an „Gute Arbeit“:
Betriebe, die trotz Wettbewerbsdruck angemessene Arbeitsbedingungen
bieten, Lehrlinge fördern, wenige unbefristete Dienstverhältnisse
vergeben, oder auf Gleichstellungsmaßnahmen achten, werden gezielt
gefördert. In Deutschland gibt es das schon. Es gibt verschiedene
rechtliche Initiativen, die neben Frauenförderung weitere Aspekte der
„Guten Arbeit“, wie etwa Mindestlöhne, sichere und qualifizierte
Arbeitsplätze oder einen begrenzten Anteil von Leiharbeiterinnen und
Leiharbeitern, berücksichtigen.
- Kampagne für einen Mindestlohn von 2.000 Euro netto: Wie bei
der Einführung des Mindestlohns von 1.000 Euro soll neuerlich eine
Kampagne zur Erhöhung der Mindestlöhne durchgeführt werden, um Druck
auf die Wirtschaft auszuüben. Gefordert wird ein General-Kollektiv, der
zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt wird und dann als Vorgabe
verbindlich ist. Im Gegensatz zu einem gesetzlichen Mindestlohn, der zu
rasch zum parlamentarischen Spielball werden kann.
- Ausweitung einer Einkommenstransparenz auf alle Betriebe:
Das ist Basis einer solidarischen Lohnpolitik (im Rahmen
kollektivvertraglicher Regelungen) mit dem Ziel, gesellschaftspolitische
Verteilungsgerechtigkeit durchzusetzen.
- Entlastung des Faktors Arbeit: Erhöhung der Besteuerung von Kapital und insbesondere Vermögen zugunsten einer reduzierten Besteuerung des Faktors Arbeit.
- Ausbau der Kinderbetreuungsangebote: Betriebskindergärten,
Nachmittagsbetreuung als (leistbare) Ganztagesbetreuung sowie kluge
Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen ermöglichen Eltern die
Vollzeiterwerbstätigkeit.
- Förderung von niedrigqualifizierten Personen: Bessere
Integration in den Arbeitsmarkt durch Anerkennung von Wissen, das sich
die Menschen durch ihr Arbeitsleben erworben haben. Darauf aufbauend
individuelle Bildungspläne und Erwerb des Lehrabschlusses (Projekt: „Du
kannst was“)
- Recht auf kostenlose (Schul-)Bildung im Rahmen der Ganztagsschule:
6- bis 15-Jährige sollen kostenlosen Zugang zu Mitteln bekommen, die für den
Schulunterricht wichtig sind. Zum Beispiel Studiengebühren,
Schulfahrten, Skitage. Und das im Rahmen einer Ganztagsschule.
- Geschlechterrollen in Bezug auf die Berufswahl hinterfragen und durchbrechen.
Das AK Jugend- und Lehrlingsreferat klärt in Workshops und Beratungen
über verschiedenste Berufe und zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten
jenseits der "typischen" Berufe auf. Dies ist auch bei
Berufsinformationsmessen und bei Organisationen verstärkt umzusetzen
(Girls’ Day, Frau und Arbeit, „FIT – Frauen in die Technik“).
- Qualifizierungsmodelle für Menschen mit Beeinträchtigungen.
Qualifizierungen von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen (im
Baubereich), Möglichkeit der Umwandlung einer Teilqualifizierung in eine
verlängerte Lehre sowie ein gemeinsames Entwickeln kreativer
Möglichkeiten zur Förderung der Qualifizierung und Erwerbstätigkeit von
Menschen mit Beeinträchtigungen. Die betreffenden Richtlinien sind zu
überdenken.
- Umgestaltung des Sozialversicherungssystems (höhere Arbeitslosenversicherungsleistungen, Grundsicherung) und Ausweitung der Sozialversicherungspflicht für bestimmte Beschäftigtengruppen:
Aktuell gibt es niedrige Ersatzraten bei allen Transferleistungen.
Durch diese Maßnahme soll eine Grundsicherung erzielt werden (durch
höhere Arbeitslosenversicherungsleistungen, höhere Mindestsätze, durch
Abschaffung der Anrechnung des Partner- und Partnerinnen-Einkommens bei
der Notstandshilfe). Da die freiwillige Möglichkeit zur
Sozialversicherungspflicht von vielen geringfügig Beschäftigten nicht in
Anspruch genommen wird, sollte dies verpflichtend eingeführt werden.
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Menschen
mit Behinderungen könnten im Rahmen des neuen Behindertengesetzes für
Salzburg eingeführt werden.
- Umschichtung von Geldleistungen in hochwertige Sachleistungen:
Durch eine Umschichtung könnten
hochwertige Infrastrukturangebote im Bereich der Kinderbetreuung und der
Pflege von Angehörigen geschaffen werden, wodurch Barrieren für die
Erwerbstätigkeit gesenkt werden könnten und die Wirtschaft zugleich
angekurbelt würde. Wesentlich ist die hohe Qualität dieser
Infrastrukturen sowie ihre Leistbarkeit (etwa Gratiskindergärten und
Ganztagesschulen).
- Einstufungsmonitoring: Diese Maßnahme umfasst verschiedene
Aktivitäten. Neben der Schulung von Betriebsrätinnen und Betriebsräten
zur besseren Befähigung zum Überprüfen der korrekten Einstufungspraxis
in Betrieben sollten Checklisten entwickelt werden, anhand derer
Beschäftigte in nichtorganisierten Betrieben diese Überprüfung ebenfalls
durchführen können.
- Verbesserung der Rahmenbedingungen für Zeitarbeit hinsichtlich Auflagen, Schulungen und Personalaufwand: Für Verbesserungen im Bereich der Zeitarbeit gilt es ein umfassendes Maßnahmenpaket zu schnüren:
Es müssen Auflagen zur Beschäftigung von Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern entwickelt werden (etwa prozentuelle Beschränkung, Koppelung an sozialrechtliche Bedingungen)
Schulungen von Betriebsrätinnen und Betriebsräten zur Bewusstseinsförderung in Richtung der Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter sind zu forcieren. Weiters soll die Zertifizierung von guten Zeitarbeitsfirmen abgeschlossen werden
Es gilt gesetzlich festzuschreiben, dass Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter als Personalaufwand zu führen sind - Ausbau der Unterstützungsangebote für Migrantinnen und Migranten auf betrieblicher Ebene:
Diese Maßnahme beinhaltetet den Ausbau der Sprachunterstützung und
-förderung in den Betrieben ebenso wie Angebote der Bewusstseinsbildung durch das
Kennenlernen der verschiedenen Kulturen und Wertschätzung für
Migrantinnen und Migranten sowie Österreicherinnen und Österreichern.
Weiters sollte eine Handlungsanleitung für den gegenseitigen Umgang im
betrieblichen Alltag entwickelt werden.
- Arbeitszeitverkürzung auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich,
um eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit
zwischen den Geschlechtern zu fördern und den Niedriglohnsektor zurück
zu drängen. Zugleich werden damit Arbeitsplätze geschaffen.
- Durchforsten des Steuer- und Sozialsystems nach Anreizen entsprechend des männlichen Alleinverdienermodells
(Stichwort: Alleinverdienerabsetzbetrag). Alle Regelungen des Sozial-
und Steuersystems, die das traditionelle Bild des Mannes als
Familienerhalter unterstützen, müssen reformiert werden. Durch diese
strukturelle Reform wird die Basis des Bildes der Frau als
„Dazuverdienerin“ beseitigt.
- Aufklärung und Sensibilisierung rund um negative Folgen des traditionellen Geschlechterverhältnisses.
Über Vorträge, sonstige Veranstaltungen oder Beratungen zu
verschiedenen Themen (etwa Teilzeitarbeit als Armutsfalle, Väterkarenz,
Kinderbetreuungsgeld, neue Rollen für junge Eltern, Bedeutung der
Fraueneinkommen, eigenständige Alterssicherung) soll ein aktiver Beitrag
zum Aufbrechen von Geschlechterstereotypen geleistet werden.
- Förderung der Väterkarenz. Betriebe, die Väterkarenz innerbetrieblich unterstützen, sollten dafür gefördert werden. Dies könnte durch einen Bonus bei öffentlichen Aufträgen oder eine Prämie geregelt werden. Diese Maßnahme unterstützt das Aufbrechen von traditionellen Rollenbildern und den Zugang zur Erwerbstätigkeit von Frauen.