So kann Salzburg die steigende "Armut trotz Arbeit" bekämpfen!

Arbeit schützt nicht vor Armut! Die Salzburger Arbeiterkammer hat deshalb Fachleute aus den eigenen Reihen und von zahlreichen Institutionen unter Leitung von Sozialforschern beauftragt, ein Salzburger Maßnahmenpaket gegen Armut trotz Arbeit zu entwickeln. „Dieses Paket liegt nun vor und es zeigt deutlich: Armutsgefährdung lässt sich nicht allein durch Vermittlung von Arbeit senken, es muss vor allem die soziale Ungleichheit beseitigt werden!“, sagt AK-Präsident Siegfried Pichler.

Grundlage des aktuellen Maßnahmenkatalogs ist die Studie „In der Mitte der Gesellschaft“, welche die Salzburger Arbeiterkammer 2010 veröffentlicht hat. Damals wurden alarmierende Fakten publik gemacht: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Salzburg – das sind mehr als 100.000 (!) Frauen und Männer - verdiente weniger als 1.500 Euro brutto im Monat. Jeder Fünfte von ihnen fand gar weniger als 1.000 Euro auf dem Lohnzettel. Zum Vergleich: die Schwelle zur Armutsgefährdung liegt aktuell bei 1.066 Euro!

Soziale Schieflage unverändert

Die neue Untersuchung zeigt nun: An dieser sozialen Schieflage hat sich wenig geändert. Wie der Einkommensbericht der Arbeiterkammer beweist, haben die Beschäftigten in Salzburg auch im Jahr 2011 einen Reallohnverlust von zwei Prozent hinnehmen müssen. Im Bundesländerranking liegt Salzburg bei den Medianeinkommen an 7. Stelle!

„Insgesamt fallen 1 Million Österreicherinnen und Österreicher, das sind rund 12 Prozent der Gesamtbevölkerung, unter diese Schwelle. Besonders gefährdet sind Ein-Eltern-Haushalte, Personen mit maximal Pflichtschulabschluss, Nicht-EU-Bürger und alleinlebende Pensionistinnen und Pensionisten“, weiß Sozialforscherin und Studienautorin Birgit Buchinger.

Der Anteil der „Working Poor“ beträgt österreichweit rund 5,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das heißt, dass knapp die Hälfte aller Armutsgefährdeten arbeiten geht!
Die Zahlen aus dem Jahre 2009 zeigen, dass knapp 30 Prozent aller Erwerbstätigen bereits in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. „Dabei sind Frauen mit 48 Prozent deutlich stärker betroffen als Männer mit 13 Prozent. Teilzeitarbeit als die überwiegende atypische Beschäftigungsform weist einen Frauenanteil von bis zu 85 Prozent auf“, kritisiert AK-Sozialexpertin Karin Beer. Nimmt man als Basis die Verdienststrukturerhebung der Statistik Austria (hier wird die Niedriglohnschwelle bei EUR 7,65 brutto angesetzt), so fallen 24 Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer in den Bereich der Niedriglohnbeschäftigten.

Drei Jahre später ist die Situation noch dramatischer. Vor allem wenn man sich die Situation in der Salzburger Privatwirtschaft anschaut: dort hat aktuell mehr als jeder Zweite (50,5 Prozent) keinen ganzjährigen Vollerwerbsjob mehr!

Auch WIFO schlägt Alarm

Bemerkenswert ist der Zusammenhang von Niedriglohn und Vollzeitbeschäftigung: dort, wo ein höherer Anteil von Teilzeitarbeit existiert, gibt es auch einen höheren Anteil an niedrigen Löhnen! Eine Studie des Wirtschaftsförderungsinstituts (WIFO) aus dem Jahr 2010 belegt, dass 16 Prozent der Vollzeitbeschäftigten (außerhalb des öffentlichen Bereichs) zu den Niedrigverdienerinnen und Niedrigverdienern gehören. Auch hier zeigt sich der Trend: Frauen (zu 32 Prozent) sind stets deutlich stärker betroffen als Männer (zu neun Prozent). In anderen Worten: Niedriglohnbeschäftigung ist vor allem weiblich.

Die Folgen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdeutlicht zum Beispiel der AK-Arbeitsklima Index, der im April 2012 veröffentlicht wurde: 50 Prozent der Beschäftigten gaben an, mit ihrem Einkommen gerade noch auszukommen, 10 Prozent kommen damit nicht mehr aus! „Schuld sind die immensen Preise für Wohnen, Lebensmittel, Treibstoff. Das können sich die Menschen schlicht nicht mehr leisten!“, sagt AK-Präsident Pichler.

Das ist alles sehr bitter! Hat es also überhaupt einen Sinn sich aufzulehnen? „Solche Zustände sind in einem Land, das zu den wohlhabendsten auf der Welt zählt, untragbar. Arbeiterkammer und Gewerkschaften haben immer an einer gerechteren Gesellschaft gearbeitet, wir werden auch in dieser Frage nicht klein beigeben!“, sagt AK-Präsident Pichler.

Deshalb wurde die Studie in Auftrag gegeben. Die Arbeiterkammer Salzburg hat „Solution – Sozialforschung und Entwicklung“ gebeten, einen Maßnahmenkatalog zu entwickeln, auf dessen Basis eine fundierte interessenspolitische Arbeit ermöglicht wird. Dadurch sollen Ansatzpunkte zur Verbesserung der sozialen Lage von Niedrigverdienenden im Bundesland Salzburg geliefert werden.

Fachleute zerbrachen sich Köpfe

25 Expertinnen und Experten und Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der Interessensvertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik haben daran mitgearbeitet. Auf 70 Seiten wurde die Lage durchleuchtet und ein Maßnahmenpaket erstellt. Dieses Paket soll nun als Instrument zur Bekämpfung der sozialen Schieflage dienen.

Gearbeitet wurde ganz konkret und gezielt: Unter den fünf Themenkreisen „Aufbrechen von Geschlechtsstereotypen“, „Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik“, „Lohnpolitik“, „Sozial- und Strukturpolitik“ sowie „Betriebliche Ebene“ wurden insgesamt 61 Maßnahmen entwickelt, wie man Tausende Salzburger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien vor dem Abrutschen in die Armut bewahren kann.

Nicht alle 61 Maßnahmen wurden von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Studie gleich beurteilt. Herrschte in Fragen zu Bildungspolitik und Aufbrechen der Geschlechterstereotypen noch weitgehend Einigkeit bis hin zu gemeinsam akkordierten Handlungsvorschlägen, so wurden speziell in der Frage der Lohnpolitik sowie der Sozial- und Strukturpolitik rasch die offenkundigen Konfliktlinien hinsichtlich Mindestlohn, Einkommenstransparenz oder Grundeinkommen für alle sichtbar. Die Studie leistet somit einen Beitrag zur Offenlegung dieser immer wiederkehrenden Forderungen und Sichtweisen; geklärt oder gar beseitigt konnten sie nicht werden.

18 Vorschläge für mehr Gerechtigkeit

Erklärtes Ziel aber war es, praxisorientierte und damit umsetzungsfähige Vorschläge abzuleiten. 18 Ideen aus dem Katalog stellen wir hier vor:

  1. Auftragsvergabe und Wirtschaftsförderung nur an „Gute Arbeit“: Betriebe, die trotz Wettbewerbsdruck angemessene Arbeitsbedingungen bieten, Lehrlinge fördern, wenige unbefristete Dienstverhältnisse vergeben, oder auf Gleichstellungsmaßnahmen achten, werden gezielt gefördert. In Deutschland gibt es das schon. Es gibt verschiedene rechtliche Initiativen, die neben Frauenförderung weitere Aspekte der „Guten Arbeit“, wie etwa Mindestlöhne, sichere und qualifizierte Arbeitsplätze oder einen begrenzten Anteil von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern, berücksichtigen.

  2. Kampagne für einen Mindestlohn von 1.300 Euro netto: Wie bei der Einführung des Mindestlohns von 1.000 Euro soll neuerlich eine Kampagne zur Erhöhung der Mindestlöhne durchgeführt werden, um Druck auf die Wirtschaft auszuüben. Gefordert wird ein General-Kollektiv, der zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt wird und dann als Vorgabe verbindlich ist. Im Gegensatz zu einem gesetzlichen Mindestlohn, der zu rasch zum parlamentarischen Spielball werden kann.

  3. Ausweitung einer Einkommenstransparenz auf alle Betriebe: Das ist Basis einer solidarischen Lohnpolitik (im Rahmen kollektivvertraglicher Regelungen) mit dem Ziel, gesellschaftspolitische Verteilungsgerechtigkeit durchzusetzen.

  4. Entlastung des Faktors Arbeit: Erhöhung der Besteuerung von Kapital und insbesondere Vermögen zugunsten einer reduzierten Besteuerung des Faktors Arbeit.

  5. Ausbau der Kinderbetreuungsangebote: Betriebskindergärten, Nachmittagsbetreuung als (leistbare) Ganztagesbetreuung sowie kluge Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen ermöglichen Eltern die Vollzeiterwerbstätigkeit.

  6. Förderung von niedrigqualifizierten Personen: Bessere Integration in den Arbeitsmarkt durch Anerkennung von Wissen, das sich die Menschen durch ihr Arbeitsleben erworben haben. Darauf aufbauend individuelle Bildungspläne und Erwerb des Lehrabschlusses (Projekt: „Du kannst was“)

  7. Recht auf kostenlose (Schul-)Bildung im Rahmen der Ganztagsschule: 6-15Jährige sollen kostenlosen Zugang zu Mitteln bekommen, die für den Schulunterricht wichtig sind. Zum Beispiel Studiengebühren, Schulfahrten, Skitage. Und das im Rahmen einer Ganztagsschule.

  8. Geschlechterrollen in Bezug auf die Berufswahl hinterfragen und durchbrechen. Das AK Jugend- und Lehrlingsreferat klärt in Workshops und Beratungen über verschiedenste Berufe und zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten jenseits der "typischen" Berufe auf. Dies ist auch bei Berufsinformationsmessen und bei Organisationen verstärkt umzusetzen (Girls’ Day, Frau und Arbeit, „FIT – Frauen in die Technik“).

  9. Qualifizierungsmodelle für Menschen mit Beeinträchtigungen. Qualifizierungen von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen (im Baubereich), Möglichkeit der Umwandlung einer Teilqualifizierung in eine verlängerte Lehre sowie ein gemeinsames Entwickeln kreativer Möglichkeiten zur Förderung der Qualifizierung und Erwerbstätigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen. Die betreffenden Richtlinien sind zu überdenken.

  10. Umgestaltung des Sozialversicherungssystems (höhere Arbeitslosenversicherungsleistungen, Grundsicherung) und Ausweitung der Sozialversicherungspflicht für bestimmte Beschäftigtengruppen: Aktuell gibt es niedrige Ersatzraten bei allen Transferleistungen. Durch diese Maßnahme soll eine Grundsicherung erzielt werden (durch höhere Arbeitslosenversicherungsleistungen, höhere Mindestsätze, durch Abschaffung der Anrechnung des Partner- und Partnerinnen-Einkommens bei der Notstandshilfe). Da die freiwillige Möglichkeit zur Sozialversicherungspflicht von vielen geringfügig Beschäftigten nicht in Anspruch genommen wird, sollte dies verpflichtend eingeführt werden. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderungen könnten im Rahmen des neuen Behindertengesetzes für Salzburg eingeführt werden.

  11. Umschichtung von Geldleistungen in hochwertige Sachleistungen: (Kinderbeihilfe, Pflegegeld): Durch eine Umschichtung könnten hochwertige Infrastrukturangebote im Bereich der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen geschaffen werden, wodurch Barrieren für die Erwerbstätigkeit gesenkt werden könnten und die Wirtschaft zugleich angekurbelt würde. Wesentlich ist die hohe Qualität dieser Infrastrukturen sowie ihre Leistbarkeit (etwa Gratiskindergärten und Ganztagesschulen).

  12. Einstufungsmonitoring: Diese Maßnahme umfasst verschiedene Aktivitäten. Neben der Schulung von Betriebsrätinnen und Betriebsräten zur besseren Befähigung zum Überprüfen der korrekten Einstufungspraxis in Betrieben sollten Checklisten entwickelt werden, anhand derer Beschäftigte in nichtorganisierten Betrieben diese Überprüfung ebenfalls durchführen können.

  13. Verbesserung der Rahmenbedingungen für Zeitarbeit hinsichtlich Auflagen, Schulungen und Personalaufwand: Für Verbesserungen im Bereich der Zeitarbeit gilt es ein umfassendes Maßnahmenpaket zu schnüren:

    Es müssen Auflagen zur Beschäftigung von Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern entwickelt werden (etwa prozentuelle Beschränkung, Koppelung an sozialrechtliche Bedingungen)

    Schulungen von Betriebsrätinnen und Betriebsräten zur Bewusstseinsförderung in Richtung der Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter sind zu forcieren. Weiters soll die Zertifizierung von guten Zeitarbeitsfirmen abgeschlossen werden

    Es gilt gesetzlich festzuschreiben, dass Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter als Personalaufwand zu führen sind

  14. Ausbau der Unterstützungsangebote für Migrantinnen und Migranten auf betrieblicher Ebene: Diese Maßnahme beinhaltetet den Ausbau der Sprachunterstützung und -förderung in den Betrieben (siehe „Deutschkurs im Betrieb“ der AK Salzburg) ebenso wie Angebote der Bewusstseinsbildung durch das Kennenlernen der verschiedenen Kulturen und Wertschätzung für Migrantinnen und Migranten sowie Österreicherinnen und Österreichern. Weiters sollte eine Handlungsanleitung für den gegenseitigen Umgang im betrieblichen Alltag entwickelt werden.

  15. Arbeitszeitverkürzung auf eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, um eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen den Geschlechtern zu fördern und den Niedriglohnsektor zurück zu drängen. Zugleich werden damit Arbeitsplätze geschaffen.

  16. Durchforsten des Steuer- und Sozialsystems nach Anreizen entsprechend des männlichen Alleinverdienermodells (Stichwort: Alleinverdienerabsetzbetrag). Alle Regelungen des Sozial- und Steuersystems, die das traditionelle Bild des Mannes als Familienerhalter unterstützen, müssen reformiert werden. Durch diese strukturelle Reform wird die Basis des Bildes der Frau als „Dazuverdienerin“ beseitigt.

  17. Aufklärung und Sensibilisierung rund um negative Folgen des traditionellen Geschlechterverhältnisses. Über Vorträge, sonstige Veranstaltungen oder Beratungen zu verschiedenen Themen (etwa Teilzeitarbeit als Armutsfalle, Väterkarenz, Kinderbetreuungsgeld, neue Rollen für junge Eltern, Bedeutung der Fraueneinkommen, eigenständige Alterssicherung) soll ein aktiver Beitrag zum Aufbrechen von Geschlechterstereotypen geleistet werden.

  18. Förderung der Väterkarenz. Betriebe, die Väterkarenz innerbetrieblich unterstützen, sollten dafür gefördert werden. Dies könnte durch einen Bonus bei öffentlichen Aufträgen oder eine Prämie geregelt werden. Diese Maßnahme unterstützt das Aufbrechen von traditionellen Rollenbildern und den Zugang zur Erwerbstätigkeit von Frauen.


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