Interview mit Evelyn Kobler
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Interview mit Prof. Dr. Evelyn Kobler

Prof.in Dr.in Evelyn Kobler leitet das Bachelorstudium und den Fachbereich Elementarpädagogik an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Salzburg. Wir durften mit ihr ein Gespräch führen, hier das Interview zum Nachlesen …

Erzählen Sie uns von Ihrem beruflichen Werdegang?
Meine Stationen: BAfEP in Ried im Innkreis, danach Studium Lehramt in Salzburg und Süditalien, Unterrichtspraktikum, Babykarenz, ab 2010 als Lehrperson an der BAfEP tätig, 2017 Wechsel an die Pädagogische Hochschule und 2021 Abschluss Doktorat an der School of Education. Seit heuer leite ich den neu gegründeten Fachbereich Elementarpädagogik hier an der PH.

Können Sie uns das Studium der Elementarpädagogik an der PH erläutern?
Das Studium ist berufsbegleitend und umfasst 180 ECTS, wobei 35 ECTS aus der BAfEP anerkannt werden. Die inhaltlich tragenden Säulen sind einerseits Elementarpädagogik und andererseits bildungswissenschaftliche Grundlagen sowie der Praxistransfer. Das im Curriculum vorgesehene Praxismodul kann in der eigenen Arbeitsstelle absolviert werden. Innerhalb des Studiums haben wir Schwerpunkte auf Leadership und Diversity Education, Team- und Teamentwicklung, Qualitätsmanagement und Ressourcenmanagement.

In vielen Ländern Europas wird die Ausbildung zur Fachkraft zur Gänze auf Hochschulniveau angeboten. Wo steht Österreich derzeit?
Die Idee der Teritärisierung existiert schon sehr lange. Wir waren damit lange Zeit europäisches Schlusslicht und sind es in Wahrheit auch jetzt noch. Ziel ist es, dass Maturant:innen ohne Vorwissen ein Bachelorstudium Elementarpädagogik absolvieren können und damit die Berufsberechtigung erhalten. Leider sind aktuell keine Tendenzen in diese Richtung erkennbar. Hier muss ich sagen leider, da ich regelmäßig Anfragen von Interessent:innen erhalte, die keinen BAfEP–Abschluss haben und trotzdem gerne Elementarpädagogik studieren möchten. Ein nennenswerter weiterer Entwicklungsschritt ist in der Steiermark gelungen: Im Anschluss an das Bachelorstudium EP an der PH, kann seit Herbst 2022 an der Universität mit einem entsprechenden Master angeschlossen werden.

Warum bewegt sich bei uns in Österreich vieles langsamer als beispielsweise in den Skandinavischen Ländern? 
In Österreich kann vieles über unsere Geschichte erklärt werden. Kindergärten waren in der frühen Industrialisierung reine Aufbewahrungsstätten, Frauen und Männer wurden als Arbeitskräfte gebraucht. In solchen Aufbewahrungstätten wurden etwa 100 Kinder von einer Erwachsenen Person betreut. Später haben der Nationalsozialismus, Instrumentalisierung der Kinder, autoritäre Erziehung oder strikte Trennung nach Geschlecht die Kinder geprägt.

Auch heute spüren wir mancherorts noch Instrumentalisierungstendenzen von Kindern in unserer Gesellschaft. Weitere „neue“ Phänomene prägen Kindheiten heute, z.B. „Helikopter-Eltern“ die überfürsorglich ständig um ihr Kind kreisen und „Rasenmäher-Eltern“, die ihren Kindern alle Probleme und Unebenheiten aus dem Weg räumen. Sie gelten mittlerweile als neue Form der Vernachlässigung.

Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgskriterien für eine hochwertige Kinderbetreuung und -bildung?
Gemessen an den Konsument:innen -  und das sind natürlich in erster Linie die Kinder: Wenn die Kindergartenzeit einen positiven Einfluss auf die Gesamtentwicklung des jungen Menschen ausübt, dann sprechen wir von hochwertiger Kinderbetreuung! Und das passiert, wenn Kinder sich angenommen, sicher und wohl fühlen. Auf dieser Basis können sie sich öffnen, neugierig erkunden und lernen bzw. sich bilden. Dabei kommt den Elementarpädagog:innen eine zentrale Rolle zu: Sie gestalten den Beziehungsaufbau zu den Kindern, organisieren eine anregungsreiche Umgebung und begeben sich im Optimalfall gemeinsam mit den Kindern auf Entdeckungsreise.

Wir wissen, je höher die Qualität, desto erfolgreicher die elementare Bildung. Eine qualitätsvolle frühe Bildung zeichnet sich aus durch günstige Strukturmerkmale wie Rahmenbedingungen, Personal-Kind-Schlüssel, Räume und Außenbereiche sowie hohe Kompetenzen der Fachkräfte. Aber auch die Qualität des Familienbezugs ist eine weitere tragende Säule. Heute wissen wir, dass wir nicht „nur“ die Kinder in die ersten Bildungsinstitutionen eingewöhnen, sondern auch die Eltern, insbesondere wenn die Kinder noch sehr klein sind. Also wie kann es uns gelingen, das Vertrauen der Erziehungsberechtigten zu erlangen und zu halten, wie können die Eltern der Kinder partizipieren?

Vor welchen Herausforderungen stehen wir aktuell noch?
Was wir wissen ist, dass die Anforderungen an die Elementarpädagog:innen in der Praxis hochkomplex sind und sicher noch weiter an Komplexität gewinnen werden. Die Fachkräfte sind konfrontiert mit Kindern, die große interindividuelle Unterschiede in ihrer Entwicklung mitbringen, bedingt durch unterschiedliche Aspekte wie z.B. familiäre Backgrounds. Aber auch intraindividuelle Unterschiede, wie besondere Begabungen und in einzelnen Bereichen ein stärkeres Entwicklungspotential. Und hier haben wir es mit den „ganz normalen“ Entwicklungen zu tun und noch keine Kinder mit Fluchthintergrund, die in einer überwiegenden Mehrheit traumatisiert in Österreich ankommen. Oder Kinder, die mit anderen Belastungen konfrontiert sind, wie z.B. Erkrankungen von Familienmitgliedern oder Armutsgefährdung.

Welches Resümee ziehen Sie nach der Corona-Krise?
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie dürfen nicht unterschätzt werden. Im alljährlichen Kinderliga-Bericht finden sich Informationen wie es den Kindern und Jugendlichen in Österreich geht. Die Zeit der Pandemie hat gewiss viele Belastungsgrenzen ausgereizt, denn der elementare Bildungssektor wurde weitgehend ausgeklammert von bildungspolitischer Maßnahmensetzung. Für die Elementarpädagogik gab es zu Zeiten der Maßnahmen konstant breite Konfusion und die Umsetzung selbiger wurde sehr vielfältig und weitgehend orientierungslos gehandhabt. Das Krisenmanagement muss jedenfalls erweitert werden, wir sollten dringend aus der Corona-Krise lernen. Qualität im Krisenmanagement sollte als neue Qualitätssäule eingeführt werden. In sogenannten „ruhigeren Zeiten“ sollten daher entsprechende Richtlinien und Standards entwickelt werden um breite Orientierungslosigkeit künftig zu vermeiden.

Aus dem Barcamp hat uns das Beispiel Neuseeland sehr inspiriert, vielleicht können Sie uns davon mehr erzählen 
Vor 25 Jahren wurde in Neuseeland ein wegweisendes Curriculum für die frühkindliche Bildung mit dem Titel „Te Whariki“ eingeführt. Der Name verweist auf die Werte der in Neuseeland lebenden Maori als wichtiger Teil der neuseeländischen Kultur. Ziel war es, die Vielfalt der neuseeländischen Kinder, ihrer Fähigkeiten und Herkunft einzubeziehen und sie darin zu unterstützen, sich selbst als lernende, reflektierende, explorierende, kommunizierende Personen zu verstehen. Dieses System ist in seiner ursprünglichen Intention gelebte Inklusion, innerhalb derer die interindividuellen Unterschiede der Kinder Platz finden können. Der Symbolwert des Te Whariki ist ungemein schön und hat andere Länder inspiriert, ähnliche Rahmenpläne aufzustellen.

Was bewegt die Forschungslandschaft derzeit?
Forschungsanliegen innerhalb der Sozialwissenschaften orientieren sich weitgehend an gesellschaftlichen Belangen. An den Pädagogischen Hochschulen haben wir die Möglichkeit zur berufsrelevanten Forschung, jedoch nicht in dem Ausmaß wie es die Universitäten haben: Aktuell haben wir zwei universitäre Lehrstühle in Österreich: An der Universität Innsbruck und an der Universität Graz. Hier gehen die aktuellen Forschungsanliegen in Richtung Qualitätsmessungen, Covid19-Pandemie und elterliche Förderung, Erforschung der Assistenzkräfte in den Institutionen, Kleinkinder – Familien und Medien, frühe mathematische Bildung sowie frühe Förderung im Allgemeinen. An der Universität Graz gibt es die Plattform ElFo zur Distribution von aktuellen Forschungsbeiträgen.

Ich selbst sowie eine meiner Kolleginnen haben im Zuge unserer Dissertationen unterschiedliche Aspekte früher naturwissenschaftlicher Bildung querschnittlich und längsschnittlich erforscht. Aktuell habe ich ein weiteres großes Forschungsprojekt beantragt, bei welchem es um körperliche, psychische und soziale Gesundheit sowie erfolgreiches Lernen bei unseren Jüngsten geht.

Forschungsmethodisch gewinnen im deutschsprachigen Raum Kinderperspektiven in Bezug auf Qualität und Wohlbefinden zunehmend an Bedeutung. Bei unseren Deutschen Nachbarn tut sich viel, Wissenschaft und Praxis kooperieren an einzelnen Stellen intensiv miteinander, es gibt einschlägige Forschungszentren z.B. in Berlin oder Leipzig. Nach der Covid-Krise wurde eine wissenschaftliche Empfehlung zur Bewältigung ausgesprochen. Nennenswerte Forschungsarbeiten sind z.B. am Lehrstuhl für frühkindliche Bildung und Erziehung an der Uni Bamberg (Y. Anders), zum Thema Resilienz (Fröhlich-Gildhoff) oder am Leipziger Forschungszentrum für frühkindliche Entwicklung zum Spracherwerb, zu sozial-emotionaler Kompetenz und zu Ängsten und Emotionsregulation (S. Viernickl).

International gibt es unterschiedliche early-childhood-Schwerpunkte, beispielsweise an der Universität of Oxford „effective provision of early childhood education of preschools“ (Iram Siraj) oder an der Universität Copenhagen Säuglingsforschung im Kontext mentaler Gesundheit von Babys und Eltern.

Können Sie uns den Begriff „Frühe Bildung“ oder „early childhood“ noch kurz erläutern?
Der Begriff „frühe Bildung“ ist in Deutschland und der Schweiz implementiert, in Österreich sprechen wir von „Elementarpädagogik“. Im englischen Sprachraum wird meist der Terminus „Early childhood education (systems)“ verwendet.

Danke für Ihre Zeit und Expertise und das spannende Gespräch! 

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