Interview mit Melanie Holztrattner
Interview mit Melanie Holztrattner © AK, AK

Interview mit Melanie Holztrattner

Dr. Melanie Holztrattner arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Salzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sozialpädagogik und Elementarpädagogik. Wir haben sie an der Uni Salzburg besucht und durften mit ihr ein spannendes Gespräch führen. Hier das Interview zum Nachlesen:

Erzählst Du uns von deinem beruflichen Werdegang?

Ich besuchte die BAfEP Vöcklabruck, beendete sie aufgrund der Schwangerschaft zum ersten Kind jedoch frühzeitig. Bald danach war ich als Mitarbeiterin in Eltern-Kind-Zentren tätig und absolvierte die Studienberechtigungsprüfung an der Universität Salzburg, um Pädagogik und folgend Erziehungswissenschaft zu studieren. Nebenbei wirkte ich an der Universität Salzburg in Lehre und Forschung, beispielsweise in Projekten zur stationären Kinder- und Jugendhilfe, mit. Nach dem Masterstudium beschäftigte ich mich an der Pädagogischen Hochschule Salzburg mit Fragen zu Inklusion. Seit 2018 bin ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Erziehungswissenschaft tätig und habe kürzlich das Doktoratsstudium Gesellschaftswissenschaften abgeschlossen.

Kannst du uns das Studium der Pädagogik und Erziehungswissenschaft kurz erläutern?

An der Universität Salzburg bezeichnet Pädagogik das Bachelorstudium und Erziehungswissenschaft das Masterstudium. Die beiden Begriffe meinen ähnliches, beide Studiengänge befassen sich im Kern mit Erziehungs- und Bildungsprozessen. Die Ausbildung ist allgemein gehalten und befähigt zur Arbeit in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern. Absolvent:innen arbeiten beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe, der offenen Jugendarbeit, der Freizeitpädagogik oder auch in der Forschung.

Kann man mit dem Studium auch als Elementarpädagoge/in arbeiten?

Für die Arbeit als Pädagog:in in einem „Regelkindergarten“ ist ein BAfEP-Abschluss bzw. die Absolvierung des Kollegs für Elementarpädagogik Voraussetzung. Das Pädagogikstudium ist nicht speziell auf die Bedarfe von Kindern in frühpädagogischen Einrichtungen abgestimmt, sondern – wie bereits erwähnt – sehr allgemein gestaltet. Es gibt jedoch die Möglichkeit, in Kooperation mit dem Land Salzburg, die Studienergänzung „Elementarpädagogik“ zu absolvieren. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist dies eine Möglichkeit, Studierenden eine theoretisch und praktisch fundierte Spezialisierung zu bieten, die sie für eine Tätigkeit in ausgewählten elementarpädagogischen Einrichtungen qualifiziert, die in Salzburg als Tagesbetreuung bezeichnet werden und Krabbelgruppen, alterserweiterte Gruppen sowie Schulkindgruppen umfassen. Nähere Infos gibts hier: Studienergänzung Elementarpädagogik (plus.ac.at)

In vielen Ländern Europas wird die Ausbildung zur Fachkraft zur Gänze auf Hochschulniveau angeboten. Wie stehst Du dazu?

Meiner Meinung nach ist Akademisierung langfristig wichtig für die Professionalisierung des Feldes. Also grundsätzlich, JA zur Akademisierung. Aber es ist aus meiner Sicht unumgänglich, die Qualität der Ausbildung in den Fokus zu stellen. Hier lohnt sich vor allem ein Blick über die Ländergrenzen hinaus, um wertvolle Anreize zu erhalten. In Deutschland gibt es z.B. kindheitspädagogische Studiengänge, in denen die Sozialpädagogik und Elementarpädagogik gewinnbringend zusammengedacht werden.

Letztlich ist nicht zu übersehen, dass Österreich über eine langjährige Tradition zurückblickt, in denen auf Sekundarstufenniveau an den BAfEPs ausgebildet wurde und wird. Die wertvolle Arbeit, die hier geleistet wurde, müssen wir im Blick behalten – und uns an qualitätsvollen, langfristigen Perspektiven für die Akademisierung orientieren. Aktuell haben wir einen so massiven Fachkräftemangel, dass man wirklich auf allen Ebenen schauen muss, wie Personal nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität qualifiziert werden kann, um gute Arbeit in den frühpädagogischen Einrichtungen leisten zu können. Daher fände ich es wichtig, grundständige Bachelorstudien für Elementarpädagogik zu realisieren, an denen auch Maturant:innen teilhaben können, die zuvor noch über keine elementarpädagogische Ausbildung verfügen.

Was sind die Erfolgskriterien für hochwertige Kinderbetreuung?

Qualität und Quantität müssen in einem guten Verhältnis stehen. Einerseits wird hier die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbsarbeit vakant, was gerade im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse wichtig ist. Andererseits geht es um die Bedarfe der Kinder. Es reicht nicht aus, neue Plätze zu schaffen, vielmehr muss die Qualität in den Einrichtungen stimmen, wobei die Rahmenbedingungen, also die Strukturqualität die Basis darstellen. Damit sind bspw. Gruppengrößen, Raumausstattung, Betreuungsschlüssel und Ausbildung der Fachkräfte angesprochen. Zudem braucht es Orientierungsqualität. Dies bedeutet, dass Fachkräfte sich an bestimmten Werten orientieren und zugleich ihre eigene Haltung kritisch reflektieren. Letztlich ist Prozessqualität bedeutsam. Sie beschreibt, wie sich der Alltag in den Einrichtungen abspielt, wie Interaktion gelebt und gestaltet werden, was sich letztlich erheblich darauf auswirkt, wie Kinder das Aufwachsen in frühpädagogischen Einrichtungen erleben können.

Im Barcamp wurde die QuaKi-Studie angesprochen, bitte berichte uns kurz davon …

„QuaKi“ steht für „Qualität aus Kindersicht“. Die Studie ist eigentlich als Vorzeigestudie zu bezeichnen, da sie die Kinder als zentrale Akteur:innen in frühpädagogischen Einrichtungen zu Wort kommen lässt. Sie wurde von Univ.-Prof.in Dr.in Iris Nentwig-Gesemann geleitet und von der Bertelsmann Stiftung gefördert. Gearbeitet wurde mit der dokumentarischen Methode, die es möglich macht, die Perspektiven der Kinder in den Blick zu nehmen und zentral zu stellen. In Anschluss an die Ergebnisse der Studie wurde ein sog. „Methodenschatz“ gestaltet, der Fachkräften in ihrer täglichen Arbeit dazu dienen kann, mit den Kindern Qualität in der eigenen Einrichtung zu thematisieren.

Die Ergebnisse sind vielfältig. Beispielsweise ist Kindern wichtig, Teil der Gruppe zu sein, aber auch: mitzubestimmen, mitzureden und mitzugestalten. Sie wollen gehört werden und ihre Anliegen zum Ausdruck bringen. Ebenso spielen Zeit und Raum für Bewegung, die Erkundung der Umwelt und die Beziehungsgestaltung für Kinder eine wichtige Rolle, um sich wohl und sicher zu fühlen. Mit Beziehungsgestaltung ist nicht nur angesprochen, auf welche Weise Fachkräfte Kindern begegnen, sondern auch, wie mit ihren Eltern umgegangen wird, inwiefern der Familie Achtung zukommt. Das ist wiederum auch im Hinblick auf soziale Ungleichheit bedeutsam, wenn man bedenkt, dass Kinder oft aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten in die Einrichtung kommen. Kurzum, die Alltagsgestaltung beeinflusst wesentlich, wie die Kinder „ihre“ Einrichtung erleben.

Woran forschst du?

Meine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozialpädagogik und Elementarpädagogik. Hier beschäftige ich mich zum Beispiel mit Institutionen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, insbesondere im Kontext frühpädagogischer Einrichtungen oder stationärer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Aufgrund der historischen Entwicklungen scheinen Sozial- und Elementarpädagogik in Österreich zwei völlig getrennte Bereiche zu sein, aber dies ist nicht überall so. In Deutschland wird Elementarpädagogik oftmals der Sozialpädagogik zugerechnet, in Österreich eher dem Bildungsbereich. Letzteres birgt natürlich Chancen, aber es hat auch Schattenseiten. Aus meiner Sicht wäre es lohnenswert, Sozial- und Elementarpädagogik stärker miteinander zu vernetzen und gemeinsam zu denken.

Wie stehst du zum Begriff „elementarer Bildungseinrichtung“?

Auf der einen Seite ist es natürlich eine große Errungenschaft, dass heute von Bildungseinrichtungen und nicht mehr von Bewahranstalten gesprochen wird. Aber selbst, wenn man Bildung in einem sehr humanistischen Sinne denkt, laufen wir Gefahr, mit der alleinigen Betonung der Bildung auch etwas zu verlieren: Die Frühpädagogik spricht von einer Trias, also einer Dreiheit aus erstens frühkindlicher Bildung, zweitens Betreuung – im Sinne von Sorge und Care – und drittens Erziehung. Sorge- und Care-Aspekte sind extrem wichtig und dürfen nicht in den Hintergrund rücken bzw. vernachlässigt werden. Gerade intime Momente mit den Kindern, etwa wenn diese gewickelt werden oder in der Einrichtung schlafen, müssen bewusst gestaltet werden.

Derzeit ist der Mangel an Fachkräften ein riesiges Problem, wie können wir die Lage verbessern?

Der Fachkräftemangel hat sich in den vorangegangenen Jahren abgezeichnet, aber gerade in letzter Zeit tritt er immer stärker zu Tage. Hier werden ganz unterschiedliche Aspekte sichtbar, die Geschlechterzuschreibung ist nur einer davon. Es braucht eine Attraktivierung des Feldes, die Öffnung der aktuellen Bachelorstudiengänge für Personen, die fachverwandt vorausgebildet sind sowie eine Schaffung eines grundständigen Elementarpädagogik-Studiums. Es braucht eine erhebliche Intensivierung der Forschungsleistungen, insbesondere ein kritisch-reflexives Hinschauen auf das Feld und damit verbundene gesellschaftliche Entwicklungen. Schließlich bedarf es der Überlegung, wie man künftig mit Krisen umgehen will. Denn Corona, der Ukraine-Krieg, die Wirtschaftskrise usw. sind Themen die Kinder und Familien unmittelbar betreffen und schließlich auch Fachkräfte und Einrichtungen beeinflussen.

Was sind mögliche Lösungsansätze?

Da fällt mir zuallererst Wertschätzung ein: Wertschätzung im Sinne von öffentlicher Aufmerksamkeit, Anerkennung des Berufsbildes, angemessener Bezahlung für die unglaublich wertvolle Arbeit, die täglich geleistet wird und die große Verantwortung, die dieser Beruf mit sich bringt.

Weiters braucht es den umfangreichen Ausbau der wissenschaftlichen Infrastruktur mit Lehrstühlen und entsprechender Personalausstattung an den Universitäten sowie der Förderung von Studien durch öffentliche Gelder. In Deutschland wurden – vor dem Hintergrund der Debatte um Bildung im Kontext des „PISA-Schocks“ – seit 2000 viele Professuren geschaffen und kindheitspädagogische Studiengänge etabliert. Dies wirkt sich positiv auf das gesamte Feld aus. In Österreich haben wir gerade einmal zwei Lehrstühle (Graz und Innsbruck) die unglaublich wertvolle Arbeit leisten, aber natürlich nicht das komplette Feld abdecken können.

So braucht es bspw. eine vertiefte kritische Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen (z.B. Bildung, Betreuung und Erziehung). Letztlich hat Elementarpädagogik immer auch mit Machtverhältnissen zu tun, die vor allem zwischen Kindern und Fachkräften zutage treten. Daher brauchen wir in Wissenschaft und Praxis eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Professionsgeschichte, dem Alltag und blinden Flecken.

Hiermit verbindet sich auch die Frage, wie Elementarpädagogik mit Gesellschaft zusammenhängt und inwieweit diese Frage aktuell wissenschaftlich bearbeitet wird. Hier ist beispielsweise auf das Konzept der Lebensweltorientierung hinzuweisen. In diesem wird unter anderem gefordert, soziale Fragen auf einer „Vorderbühne“ und einer „Hinterbühne“ zu denken. Auf der Vorderbühne wird beispielsweise darüber gesprochen, wie der Alltag in frühpädagogischen Einrichtungen gestaltet wird oder wie Fachkräfte und Kinder miteinander handeln. Die Hinterbühne, und hierauf wird der Fokus leider noch viel zu wenig gelenkt, befasst sich mit größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Wie eben vorhin bereits erwähnt: Was hat Elementarpädagogik mit Gesellschaft zu tun und wie wirkt sich das z.B. auf Geschlechterverhältnisse, die Verteilung von Care-Aufgaben oder Vermögen und schließlich soziale Ungleichheit aus? Zwangsläufig wirkt die Elementarpädagogik auf die Gesellschaft, aber umgekehrt natürlich auch die Gesellschaft auf die Elementarpädagogik. Dies wären Fragen, der sich die Wissenschaft zukünftig stärker widmen sollte. Dazu bräuchte es aber wiederum eine entsprechende Personalausstattung an den österreichischen Universitäten, z.B. mittels Lehrstühlen, möglichst in Salzburg und an weiteren Standorten.

Kannst du uns etwas zu deiner Dissertation erzählen?

Ja, gerne. Meine Dissertation widmet sich der Frage nach der „Hervorbringung von früher Kindheit“. Kinder verbringen immer mehr Zeit in Einrichtungen, für längere Zeiträume pro Tag und Woche, und sie besuchen Institutionen zu früheren Zeitpunkten in ihrer Biografie. In der Wissenschaft bezeichnen wir das auch als Reallokation kindlicher Lebenszeit.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich gefragt, was es bedeutet, Kind zu sein in frühpädagogischen Institutionen. Dabei ist das, was wir als „Kindheit“ bezeichnen keineswegs so eindeutig, wie es uns erscheint. Der Kindheitsbegriff ist historisch-kulturell vermittelt. Dies bedeutet: Zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen realisiert sich Kindheit auf verschiedene Weise. Und dabei ist Kindheit immer auch ein normatives Konstrukt, mit ihm sind bestimmte Vorstellungen und Bilder verflochten, die das pädagogische Handeln prägen.

Ich habe ethnografisch geforscht, habe also am Alltag von Kindern in frühpädagogischen Einrichtungen teilgenommen und Interaktionen beobachtet. Dabei konnte ich herausarbeiten, was dieser gemeinsame Alltag für die Hervorbringung von früher Kindheit bedeutet. Es hat sich gezeigt, dass Kindern auf sehr unterschiedliche Weise Handlungs-, Deutungs- und Entscheidungsmacht zugesprochen wird, nicht nur durch Fachkräfte, sondern auch durch die anderen Kinder. Fachkräften kommt dabei eine enorme Verantwortung zu, nämlich dahingehend, dass Kinder ihre Anliegen zum Ausdruck bringen und mitgestalten können sollen. Gleichzeitig werden Fachkräfte mit vielen unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert, sie handeln individuelle und kollektive Bedarfe von Kindern aus und müssen die räumliche und zeitliche Gestaltung des Alltags reflektieren.

Du hast neben deiner Dissertation auch gerade das Buch „Familienähnliche Fremdunterbringung in Österreich" veröffentlicht …

Das Buch ist fast noch druckfrisch, es wurde von Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Bütow und mir verfasst und beruht auf Interviews mit Menschen, die in der stationären Kinder- und Jugendhilfe aufgewachsen sind. Wir haben nach den Erfahrungen in sozialpädagogischen Wohngruppen und Pflegefamilien gefragt und deren gesamte Biografie in den Blick genommen.

Der zeitliche Horizont des Projekts reicht von der Nachkriegszeit bis kurz vor Corona. In diesen Jahrzehnten fand ein großer fachlicher Wandel im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe statt. Früher wurden teilweise 14 Kinder in einer Pflegefamilie untergebracht. Diese Pflegefamilien waren der Gegenentwurf zu Großheimen, an denen viel Kritik geübt wurde. Heute sind die Rahmenbedingungen in Pflegefamilien und sozialpädagogischen Wohngruppen dank der Kinder- und Jugendhilfereformen ganz andere. Viele Probleme konnten damit beseitigt werden, viele Herausforderungen bestehen jedoch nach wie vor. Hier der SN-Bericht zum Weiterlesen: Ehemaliges Pflegekind erzählt: "Des woa scho a bissl a brutalare Zeit" | SN.at

Vielen Dank für Ihre  Zeit und die spannenden Einblicke!

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